Verschiedene Fassungen des Gedichtes "Römischer Brunnen" zeigen die innige Verbindung von Conrad Ferdinand Meyer zu der inneren Symbolik dieses Brunnens. Das Geben und Nehmen, die Ruhe und das Strömen, sind in allen fünf Fassungen deutlich und erleben in den 22 Jahren bis zur letztlichen Fassung Wachstum und Reife, die das Herz weitet und kultiviert. (sfr)
Der römische Brunnen (letzte Fassung 1882)
Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.
Der römische Brunnen
(man achte auf die Komma-Setzung, die die Betonung und Wertung ergibt)
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.
Der römische Brunnen (1870)
Der Springquell plätschert und ergießt
sich in der Marmorschale Grund;
die, sich verschleiernd, überfließt
in einer zweiten Schale Rund.
Und diese gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut,
und jede nimmt und gibt zugleich
und alles strömt und alles ruht.
Der Brunnen (1869)
Der Springquell plätschert und erfüllt
Die Schale, daß sie überfließt;
Die steht vom Wasser leicht umhüllt,
Indem sie's in die zweite gießt;
Und diese wallt und wird zu reich
Und gibt der dritten ihre Flut,
Und jede gibt und nimmt zugleich,
Und alles strömt und alles ruht.
Der Brunnen (1865)
In einem römischen Garten
Verborgen ist ein Bronne,
Behütet von dem harten
Geleucht der Mittagssonne,
Er steigt in schlankem Strahle
In dunkle Laubesnacht
Und sinkt in eine Schale
Und übergießt sie sacht.
Die Wasser steigen nieder
In zweiter Schale Mitte
Und voll ist diese wieder,
Sie fluten in die dritte:
Ein Nehmen und ein Geben,
Und alle bleiben reich,
Und alle Fluten leben
Und ruhen doch zugleich
Der schöne Brunnen (1864)
In einem römischen Garten
Weiß ich einen schönen Bronnen,
Von Laubwerk aller Arten
Umwölbt und grün umsponnen.
Er steigt in lichtem Strahle,
Der unerschöpflich ist,
Und plätschert in eine Schale,
Die golden wallend überfließt.
Das Wasser flutet nieder
In zweiter Schale Mitte,
Und voll ist diese wieder,
Es flutet in die dritte:
Ein Geben und ein Nehmen
Und alle bleiben reich.
Und alle Stufen strömen
Und scheinen unbewegt zugleich.
Rom: Springquell (1860)
Es steigt der Quelle reicher Strahl
Und sinkt in eine schlanke Schal'.
Das dunkle Wasser überfließt
Und sich in eine Muschel gießt.
Es überströmt die Muschel dann
Und füllt ein Marmorbecken an.
Ein jedes nimmt und gibt zugleich
Und allesammen bleiben reich,
Und ob's auf allen Stufen quillt,
So bleibt die Ruhe doch im Bild.